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Interview mit Nina Marchion - Vizepräsidentin


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Dipl. Hebamme HF; Fachfrau Kindsverlust; Vizepräsidentin FKT-Ost

Liebe Mitglieder und Interessierte

Zum Jahresabschluss durfte ich unsere engagierte Vizepräsidentin Nina Marchion interviewen. Ich freue mich sehr, sie euch hiermit vorzustellen und einen Einblick in ihre herausfordernde Tätigkeit als Hebamme und Fachfrau Kindsverlust zu geben. Leider endet noch circa jede vierte Schwangerschaft in einer Fehlgeburt, was die Wichtigkeit der Trauerarbeit in diesem Berufsfeld unterstreicht.


Herzlichen Dank Nina für dein grosses Engagement!

Stefanie Pleisch Was waren deine Beweggründe den Verein FKT-Ost mitzugründen und aufzubauen? Nach meiner Ausbildung zur Fachfrau Kindsverlust bei Kindsverlust Schweiz, fehlte mir der regionale Austausch mit anderen Fachpersonen. Die Fachstelle www.kindsverlust.ch bietet zwar immer wieder schweizweite Vernetzungsanslässe an, welche immer super sind, aber der regionale Aspekt fehlte mir an diesen Veranstaltungen halt weiterhin. Dann kam ich in Kontakt mit Irene Ardüser und Andrea Schena. Die zwei luden mich an ein Vernetzungstreffen ein und mir bestätigte sich dort, wie wohltuend es ist, sich regional zu vernetzen. Etwas später kam Irene auf mich zu mit der Idee einer regionalen Fachstelle. Von der Vision, welche ihr vorschwebte in Bezug auf die Fachstelle war ich sofort begeistert. So musste ich nicht lange überlegen und der Entschluss war schnell gefasst, bei der Fachstellengründung mitzuwirken. Du hast dein Fachwissen in Bezug auf Traumata und Verluste vertieft. Wie kannst du diese Kenntnisse in deinem Arbeitsalltag nutzen? Der Wunsch nach einer Schwangerschaft, die Schwangerschaft selbst, die Geburt, die Zeit mit dem Kind, das sind alles Ereignisse im Leben, bei welchen man sein gewohntes Terrain verlässt und sich auf Neues, Unbekanntes einlässt. Gerade in der heutigen Zeit wird einem oft ein rosiges Bild dieser Zeit vorgelegt. So sehen wir in den sozialen Medien wie toll und rosig alles läuft. Da kann es das eigene Weltbild erschüttern, wenn dann in der Realität nicht ganz alles so rosarot abläuft wie man es sich vorgestellt hat.

Die Kinderwunschzeit, Schwangerschaft, Geburt und das Wochenbett sind halt oft eine körperliche und psychisch anstrengende Zeit. Mit meinen Zusatzausbildungen habe ich weitere Möglichkeiten in die Hände bekommen, stabilisierend in dieser ersten Zeit einzuwirken, zu unterstützen und gegebenenfalls Traumas anzugehen. Dasselbe gilt auch für meine Tätigkeit als Fachfrau Kindsverlust. Auch hier profitiere ich sehr durch meine Ausbildungen, dank welchen ich gezielter gelernt habe in der ersten Trauerzeit stabilisierend und unterstützend zu begleiten und falls gewünscht auch weiter und vertiefter betreuen kann.

Auch unterstützende alternativmedizinische Methoden wendest du bei Schwangeren, resp. Im Wochenbett an. Was umfasst dein Angebot? Wir Hebammen haben das Glück, dass wir unser Repertoire mit sehr vielen alternativen Methoden erweitern können. In ganz vielen Bereichen gibt es jeweils spezifisch für unser Tätigkeitsfeld - also die Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett - verkürzte Ausbildungen. Das heisst wir können nach diesen verkürzten Ausbildungen zum Beispiel Schwangere bei vorzeitigen Wehen akupunktieren. Kommt jedoch jemand mit Bronchitis und möchte dies von mir behandelt haben, so reicht meine Ausbildung dafür nicht. Natürlich gibt es auch Hebammen, welche die komplette zusätzliche Ausbildungen absolvieren und dann auch alle Bereiche abdecken dürfen, nicht nur wie ich beschränkt auf Geburtshilfe. Ich selbst habe in den verschiedenen Bereichen jeweils nur die hebammenspezifischen Ausbildungen abgeschlossen. So habe ich den Hebammen-Abschluss in Akupunktur und Homöopathie gemacht und mich in Teilen der chinesischen Medizin wie Gua Sha, Schröpfen, Moxa und Taping weitergebildet. Konkret sieht dies so aus, dass ich beispielsweise bei Übelkeit in der Frühschwangerschaft oder bei mangelnder Milchbildung im Wochenbett auch mal zu Akupunkturnadeln oder "Kügeli" greife. Es kommt jedoch oft vor, dass ich für eine intensivere homöopathische oder akupunkturtechnische Begleitung die Frauen weiterweise an die komplett ausgebildeten Fachleute. Du bietest Spaziergange nach dem Verlust eines Kindes an. Wie kann ich mir ein solches Treffen vorstellen? Die Spaziergänge biete ich an als Plattform des Austausches und als Möglichkeit regional Gleichgesinnte kennenzulernen. Mir gefiel vor 4 Jahren die Vorstellung, sich nicht in einem geschlossenen Raum zu treffen, sondern die Schönheit der Umgebung in welcher ich wohnen darf positiv wirken zu lassen während man miteinander ins Gespräch kommt. Im Gehen kann man seinen Gedanken freien Lauf lassen, man kann Schritt für Schritt gehen und einander zuhören, je nach Bedürfnis auch einander anschauen, oder eben auch in die Natur nach vorne schauen. Ich bin die Organisatorin des Spazierganges und gebe falls es nötig wird den Gesprächen die Richtung und den Rahmen vor. In der Regel ist es jedoch selten nötig, dass eingreife. Die Frauen dürfen da sein mit dem was ist, sich davon lenken lassen, erzählen, still sein, weinen, aber auch lachen. Ich gebe ab und an Impulse mit auf den Weg. Häufig tauschen die Frauen untereinander die Nummern aus und bleiben dann einzeln in Kontakt. Es ist dann oft so, dass Frauen nur ein, zwei mal an die Spaziergänge kommen und ich nachher von ihnen höre, dass sie sich gemeinsam weitertreffen in kleinem Rahmen. Dies ist für mich jedes mal wunderschön und genau das, was ich mit den Spaziergängen erreichen möchte: dass die Betroffenen sich untereinander vernetzen. Seit letztem Jahr unterstützt mich Janine Hosang, Doula und Fachfrau Kindsverlust, bei den Spaziergängen. So bietet einen Monat Janine einen Spaziergang in Chur an und den nächsten Monat ich in Landquart und Umgebung. Leider schlief das Angebot seit Corona jedoch ein und so haben wir oft zu wenig Anmeldungen für die Durchführung. Dies hoffe ich ändert sich im nächsten Jahr wieder, damit wir wieder vermehrt Spaziergänge durchführen können, denn sie tun den Frauen gut.

Was kann für Betroffene noch unterstützend sein in einer solchen schweren Zeit? Anteilnahme und Mitgefühl. Aber bitte weder bemitleiden noch ignorieren. Ein respektieren der Trauer um das Kind, egal wie früh dieses sich verabschiedet hat. Oftmals können die Betroffenen selbst nicht sagen, wie man sie in der ersten Trauerzeit unterstützen kann, da sie selbst noch gar nicht wissen, was ihnen grad gut tun würde. Daher nützt der Satz "melde dich wenn ich dir etwas kann" meistens gar nichts. Es bringt mehr den Betroffenen Hilfsangebote in konkreter Form anzubieten, die entlastende wirken. Sei dies mit einem vorbeigebrachten Kartoffelgratin für das Mittagessen oder dem Angebot mit dem älteren Kind eine Stunde auf den Spielplatz zu gehen. Natürlich kann es für Eltern auch in dieser Situation gerade wichtig sein, das ältere Kind um sich zu haben und so wird das Spielplatzangebot abgelehnt. Aber selbst wenn sie ein Angebot ablehnen, haben sie gespürt: da ist jemand, der mir helfend zur Seite steht. Es ist unterstützend und heilsam, immer wieder kleine Zeichen des "ich denke an euch" zu erhalten. Aber genau so ist es wichtig, dass Betroffene auch äussern was sie brauchen und was ihnen gut tut und nicht erwarten, dass ihr Umfeld Gedanken lesen kann. Für beide Seiten ist eine offene und ehrliche Kommunikation sehr hilfreich und unterstützend.

Was würdest du dir wünschen in Bezug auf das Thema Kindsverlust in der Gesellschaft? Die Thematik Kindsverlust hat in den letzten Jahren viel mehr Präsenz erhalten und es hat sich gottseidank sehr viel diesbezüglich positiv verändert. Unverändert hingegen ist die oftmals grosse Überforderung des Umfeldes, wenn ein Kind früh verstirbt. Ich staune immer wieder, wie oft Eltern heute noch sich tröstend gemeinte Sätze à la "du bist ja noch jung und hast noch Zeit" oder ähnliches anhören müssen. Hier würde ich mir von der Gesellschaft wünschen, dass man lieber die "eigene Unsicherheit im Umgang mit Betroffenen" oder das "Nichtwissen, was sagen" ehrlich kundtut, statt verletzende Äusserungen zu machen, indem man den Verlust klein redet und dadurch den Betroffenen die Trauer aberkannt wird, die ihnen jedoch zustehen soll. Man darf jederzeit sagen, dass einem die Worte fehlen und man keine Ahnung hat, was das Gegenüber gerade mitmacht. Betroffene brauchen in erster Linie keinen Trost, sondern ein Umfeld, das die Trauer aushält und einfach da ist - auch mal schweigend, wenn es keine passenden Worte gibt.

Ebenso wünsche ich mir, dass den Eltern die Gelegenheit gegeben wird sich Erinnerungen mit dem Kind zu schaffen, welche sie auch mit dem Umfeld teilen können. So bleibt das Kind auch für Jahre später noch in Erinnerung beim Umfeld und es kann eher über das Kind gesprochen werden mit Grosseltern, Onkeln, Tanten... Wir tendieren leider immer noch dazu in einer Trauerzeit in eine Handlungsspirale zu verfallen. Möglichst rasch und möglichst zackig soll alles organisiert werden und wird gehandelt oder werden den Eltern Handlungen abgenommen. Hier wäre es schön, würden die Eltern mehr Raum und Zeit erhalten um erst mal den Schock zu verdauen, wirken zu lassen. Zeit, in welcher sie in die Ruhe kommen können und schauen können was sie wie möchten. Denn es eilt in den meisten Fällen bei einem Tod des Kindes gar nichts mehr und man hätte genügend Zeit.

Wo siehst du den Verein in fünf Jahren? Ich wünsche mir für den Verein, dass wir in 5 Jahren als etablierte Anlaufstelle rund um die Krisen- und Trauerarbeit angesehen werden. Als Fachstelle sowohl für Betroffene, wie auch als Vernetzungsplattform für Fachpersonen. Ich wünsche dem Verein in 5 Jahren eine enge Zusammenarbeit mit den verschiedenen Institutionen, welche bereits im Bereich Krise- und Trauer tätig sind und an welche wir mit dem Angebot unserer Fachstelle anknüpfen. Und ich wünsche mir für den Verein, dass wir in 5 Jahren Erfahrung sammeln konnten mit der einen oder anderen Organisation von Weiterbildungen, uns an weiteren spannenden Netzwerktreffen austauschen konnten und in der Qualifikation von TrauerbegleiterInnen einen Schritt weiter sind.


Vielen Dank!

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