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FKT-Ost stellt sich vor... ein Interview mit Irene Ardüser

Liebe Interessierte der Fachstelle für Krisen- und Trauerbegleitung Ost


Wir haben uns überlegt, wie wir Euch die Ziele und Visionen unserer Fachstelle näher bringen können und Gedanken unserer Vorstandsmitglieder mit Euch teilen können. Die Idee ist nun, dass wir uns in einem ersten Schritt gegenseitig interviewen und Euch in diesem und den nächsten Newslettern jeweils ein Interview vorstellen. Lasst Euch überraschen!


Für diesen Newsletter hat Nina Marchion (Vizepräsidentin) an Irene Ardüser (Präsidentin) einige grundlegende Fragen zur Fachstelle gestellt. Aber lest am besten gleich selbst...


Nina: Du bist die Initiantin der Fachstelle Krisen und Trauerbegleitung Ost. Was hat dich bewegt diese Fachstelle zu gründen?

Irene: Ich habe sowohl privat durch meine persönliche Betroffenheit wie auch beruflich als Therapeutin, immer wieder die Erfahrung gemacht, wie essenziell Krisen- und Trauerarbeit für ein kraftvolles und gesundes Weitergehen im Leben sein können. Dafür ist eine Gesellschaft mit einer bewussten und gelebten Trauerkultur sehr hilfreich. Hingegen leben wir hier in einer Gesellschaft, die sich hauptsächlich durch Leistung, Erfolg, Gesundheit und Jugendlichkeit sowie einer zwanghaften Makellosigkeit definiert. Dabei werden die Gegensätze Krankheit, Behinderung, Schwäche, sowie das Sterben und der Tod tabuisiert. Das Leben besteht aber nun mal aus zwei Polen. Diese gesellschaftliche Tabuisierung hat nun zur Folge, dass Menschen in Krisen- und Trauersituationen sich häufig ausgeschlossen, unverstanden und allein gelassen fühlen. Es fehlen hilfreiche Strukturen, die Menschen in solchen Lebensphasen benötigen. Unsere Fachstelle setzt genau hier an.


Nina: Was meinst Du genau mit «es fehlen hilfreiche Strukturen»?

Irene: Um das zu erklären, müssen wir die verschiedenen Pfeiler unserer Gesellschaft ansehen, welche Strukturen für Trauerbewältigung anerbieten würden, meiner Meinung nach aber nicht ausreichen bzw. den Zweck nicht ausreichend erfüllen.

Lass uns mit dem Naheliegendsten anfangen, dem privaten, beruflichen und sozialen Umfeld. Tendenziell ist es so, dass sich die Mitmenschen bei Krisen- und Trauerthemen rasch verunsichert und überfordert fühlen und Betroffene dort nicht immer genügend Verständnis und Unterstützung erhalten.


Nina: Weshalb meinst Du ist das so?

Irene: Ich glaube das hat eben damit zu tun, dass es tabuisierte Themen sind und deshalb nicht natürlich und intuitiv an sie heran gegangen wird. Unsere Gesellschaft legt zu wenig Wert darauf, den Umgang mit schwierigen Gefühlen zu erlernen. Bereits Kinder werden konditioniert, stark und taff zu sein. Unangenehme Gefühle werden oft einfach schöngeredet und voreilig weggetröstet. Die Kinder werden dadurch in ihrer eigenen Wahrnehmung von Schmerz, Trauer, Wut und Scham verunsichert. Das nehmen sie ins Erwachsenenalter mit und dort lösen dann eben genau diese Gefühle Stress, Hemmungen und Ängste aus, die blockierend wirken. Deshalb wird häufig lieber nichts gesagt oder getan, anstatt das Falsche zu machen. Trauer ist ausserdem ansteckend. Wer also seine eigene Trauerthemen noch nicht verarbeitet hat und die Trauergefühle gelernt hat zu unterdrücken, anstatt auszudrücken, der wird durch die gelebte Trauer von Mitmenschen «getriggert». Das meint, die eigenen unterdrückten Gefühle kommen hoch, was unter anderem Wut auslösen kann, weil das «Auftauchen» von unverarbeiteten Gefühlen für das Nervensystem eine Bedrohung darstellt.


Nina: Wie reagieren denn Trauernde auf dieses Vermeidungsverhalten von Mitmenschen?

Irene: Trauernde berichten, dass Nichts zu tun oder zu sagen schlimmer sei, als ein unbeholfener Versuch Mitgefühl auszudrücken. Was allerdings allgemein tatsächlich als sehr verletzend oder zumindest verunsichernd empfunden wird, ist wenn jemand versucht die Trauergefühle klein zu reden und einem die Trauer abzusprechen.


Nina: Was hat das für Auswirkungen auf die Betroffenen?

Irene: Durch die erlernte verzerrte Wahrnehmung wie mit Trauergefühlen umzugehen sei, empfinden sich Trauernde häufig als «nicht normal» oder stellen Fragen wie «trauere ich denn richtig?». Sie können ihrer eigenen Wahrnehmung und Intuition nicht trauen. Dann ist es sehr hilfreich, wenn eine Fachperson Wissen zu Trauerreaktionen und dem Umgang mit den dazugehörigen Gefühlen vermitteln kann. Dies befähigt die Betroffenen mit ihrer Trauer umzugehen.

Das Vertrackte an alledem ist, dass, wenn man trauert, die Leute an einem herumnörgeln, man solle wieder besserer Stimmung sein; trauert man aber nicht, so setzen sie einem zu, man solle trauern. Sie geben sich mit einem gewissen Ausmaß an Trauer zufrieden, aber nicht mit zu viel. (…) Aber die Gesellschaft hat eine irrwitzige Vorstellung davon, was ›richtig‹ ist. Vergießt man nicht eine Träne, so ist man kalt und psychotisch; weint man dagegen jahrelang, so schütteln sie den Kopf und die eigenen Freunde beginnen unter Umständen sogar einen anzuschreien, man solle sich zusammenreißen

Ironside 1996, 85 zitiert in: Trauernormen. Historische und gegenwärtige Perspektiven von Nina Jakoby/ Julia Haslinger/ Christina Gross (Zürich)


Nina: Was sind denn die weiteren Pfeiler, von denen Du noch sprechen wolltest, in Bezug auf fehlende Strukturen zur Trauerbewältigung

Irene: Dies sind Institutionen und Dienstleister aus dem Gesundheits- und Sozialbereich.


Die konfessionsabhängige Seelsorge der Kirchen beispielsweise erreicht nicht alle Menschen und greift manchmal zu kurz, weil sie eher akut und kurzfristiger begleitet und insbesondere die spirituellen Bedürfnisse abdeckt, jedoch nicht unbedingt Möglichkeiten bietet zur Gestaltung der Trauer über die Abdankung hinaus.


Die meisten Beratungs- und Unterstützungsangebote wie etwa vom Care Team oder von Beratungsdiensten wie der Palliative Care, Krebsliga, Alzheimervereinigung etc. sind eher für die akute Phase gedacht. Häufig fehlen Anschlusslösungen und ergänzende Angebote.


Nina: wo suchen den Trauernde noch weitere Unterstützung?

Da gibt es noch die Option zu Psychologen, Psychotherapeuten oder Psychiatern zu gehen. Bei psychisch bedingten Erkrankungen ist es unbestritten wichtig sich in Behandlung zu begeben - je früher desto besser! Für Trauernde besteht hier aber eine Hemmschwelle. Im Grunde genommen in diesem speziellen Fall berechtig, weil Trauer eine gesunde Reaktion auf einen Verlust ist und in der Regel nicht eine Krankheit darstellt. Eine Begleitung ist häufig hilfreich, meist wird aber keine Therapie benötigt. Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel und es ist wichtig, den Bedarf für eine Therapie frühzeitig zu erkennen, weil das die Behandlung begünstigt. So ist es für die Qualitätssicherung wichtig, dass Trauerbegleiterinnen und andere Fachpersonen, die mit Betroffenen zu tun haben, darin geschult werden, zu erkennen wann eine Trauer traumatisch oder kompliziert ist und die Betroffenen eine Therapie benötigen.

Wenn aber Trauernde mit normalen Verläufen einen Arzt oder Psychotherapeuten aufsuchen, weil sie sonst nicht wissen, wohin sie sich wenden können, müssen diese eine Diagnose stellen um behandeln zu dürfen. Die Symptome von Trauerreaktionen ähneln denen von psychischen Erkrankungen phasenweise recht stark und können zudem körperliche Beschwerden auslösen oder verstärken. So kommt es, dass Diagnosen wie depressive Verstimmung, Anpassungsstörung, Angststörungen, psychosomatische Störungen, Schlafstörungen, Verdauungsstörungen und ähnliches diagnostiziert wird. Das führt dazu, dass die Symptome der Betroffenen behandelt werden, anstatt die Ursache. Dies kann langwierige Therapien und Behandlungen zur Folge haben, die nicht unbedingt indiziert wären und somit auch nicht zum gewünschten Erfolg führen. Das stellt für die Betroffenen eine zusätzliche Belastung dar und erzeugt ausserdem enorme Gesundheitskosten.


Nina: Was gibt es denn noch für Alternativen?

Irene: Manche erhoffen sich in verschiedenen Coachingangeboten Hilfe, was häufig aber nicht ausreicht, weil es im Coaching in der Regel darum geht, ein Problem zu lösen. Der Verlust einer geliebten Person oder eines Lebensentwurfs an sich ist jedoch unlösbar. Hier geht es in erster Linie darum, diesen Verlust zu akzeptieren, anzunehmen und zu verarbeiten bzw. integrieren, um dann wieder lösungsorientiert weiter gehen zu können.


Explizit auf Krisen- und Trauerarbeit spezialisierte professionelle Begleit- und Beratungsangebote gibt es heute sehr gute. Sie sind aber häufig noch zu wenig sichtbar und nicht gut untereinander vernetzt, so dass sie in der Öffentlichkeit noch kaum wahrgenommen werden. Ausserdem ist die Qualitätssicherung bis anhin nicht transparent was es Betroffenen und Institutionen erschwert, sich an den Angeboten zu orientieren.

Die Fachstelle möchte auch hier mit ihrem Angebot Abhilfe schaffen.


Nina: Was sind denn nebst dem noch weitere Ziele der Fachstelle?

Irene: Information, Aufklärung, Prävention, Vernetzung und Qualitätssicherung sowie Weiterbildungsangebote.


Nina: Wie konntest du weitere Vorstandsmitglieder mit ins Boot holen? War es schwierig sich zu vernetzen und Leute zu motivieren ehrenamtlich mitzuarbeiten?

Irene: Der Bedarf einer Fachstelle war nicht nur mir bewusst, sondern wurde auch von anderen erkannt und bestätigt. Allerdings war bis anhin keine bereits bestehende Institution daran interessiert, etwas Vergleichbares auf die Beine zu stellen. Das habe ich im Vornherein abgeklärt. Als ich den Entschluss gefasst hatte, dieses Projekt selbst anzugehen, habe ich in meinem bestehenden Netzwerk von Trauerarbeit gefragt wer dabei sein möchte und so war das Vorstandsteam rasch gefunden. Ich bin glücklich, können wir nun mit vereinten Kräften eine gemeinsame Vision verfolgen, die zu einem gesunden Umgang mit Krisen- und Trauer führen kann. Aber es ist schon wahr: um so viel persönliche Ressourcen ehrenamtlich in ein Projekt zu investieren, braucht es sehr viel Kapazität, Idealismus und das Verständnis davon, wofür und wozu eine solche Fachstelle gut sein kann. Wir sind ein tolles Team, was einfach auch Freude macht.


Nina: Ja genau, manchmal ändert aber halt die persönliche Situation in Bezug auf freie Kapazitäten und so gibt es auch bei uns einen Wechsel im Team. Bei dieser Gelegenheit lass uns doch gerade dazu aufrufen: Wer Lust hat in unser Team zu kommen und das Amt des Kassiers/der Kassierin zu übernehmen, soll sich bitte bei uns melden!

Irene: Unbedingt! Und vielleicht dürfen wir schon verraten, dass wir entschieden haben das Vorstandsteam um eine Person zu erweitern, damit die Herausforderungen auf mehrere Leute verteilt werden können. Das neue Vorstandsmitglied soll schwerpunktmässig für den Bereich der Krisenarbeit verantwortlich sein und die Fachkompetenz dafür mitbringen. Wir haben dafür ja bereits eine Bewerberin. Sobald die Person vom Vorstand gewählt ist, werden unsere Mitglieder und Interessierten informiert.


Nina: Erzähl doch noch zum Schluss, wo du die Fachstelle in 2, 5 und 10 Jahren siehst?

Innert der nächsten zwei Jahre erhoffe ich mir den Aufbau eines starken Netzwerkes mit interessantem Fachaustausch sowie eine verstärkte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Ich weiss, dass noch in weiteren Regionen der Schweiz Fachstellen nach unserem Vorbild entstehen werden, was mich natürlich riesig freut! Wir werden einen regen Austausch mit diesen Stellen anstreben.

In fünf Jahren wäre schön, wenn bereits mit den ersten Institutionen eine Zusammenarbeit bestehen würde und ein reger interdisziplinärer Fachaustausch stattfinden könnte.

In 10 Jahren erhoffe ich mir durch präventive Arbeit eine signifikant tiefere Suizidrate in der Bevölkerung. Ich wünsche mir, dass sich die Menschen befähigt fühlen, mit schwierigen und unangenehmen Gefühlen umgehen zu können - sowohl mit den eigenen als auch mit denen der Mitmenschen. Ich hoffe, dass wir dazu beitragen können, die Resilienz der Menschen zu stärken, weil sie in einer Gesellschaft mit einer bewussten und gelebten Trauerkultur auch in Krisen gut aufgehoben sind und zur rechten Zeit ein passendes Hilfsangebot in Anspruch nehmen können und die notwendige und richtige Unterstützung erhalten.

Und wenn wir noch etwas weiter schauen, dann würde ich mich unendlich freuen, wenn wir in 20 Jahren so weit sind, dass sowohl gesellschaftlich als auch politisch erkannt wird, das Krisen- und Trauerarbeit die Resilienz der Menschen stärkt und damit Gesundheitskosten gesenkt und hohe wirtschaftliche Ausfallskosten vermieden werden können, was schlussendlich relevant für die Gemeinschaft ist. Dieses Bewusstsein würde dann auch dazu beitragen, dass der Wert von Care Arbeit erkannt und entsprechend vergolten wird, anstatt wie bis anhin häufig ehrenamtlich oder schlecht bezahlt ausgeführt werden muss.


Nina: Mit dieser schönen Zukunftsvision beenden wir! Danke für die Ausführungen, die sicherlich die eine oder andere Frage von unseren Mitgliedern und Interessierten beantworten.

Irene: Ich danke Dir Nina.





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